Körperliche und seelische Erkrankungen gehen Hand in Hand

Die Referenten an der nationalen Tagung für betriebliches Gesundheitsmanagement in Pfäffikon SZ von Ende August sind sich einig. Die Folgen von physische und psychische Erkrankungen liegen nah beieinander. Zum einen sind die Folgen von psychischen und physischen Erkrankungen kaum zu unterscheiden, zum anderen ist der psychische Umgang mit einer körperlichen Erkrankung entscheidend für die Gesundheit. Das Fazit ist übergreifend klar: je früher der Mensch auch für seine Seele, sprich Psyche, professionelle Hilfe erhält, desto besser sind seine Heilungsprognosen gesamthaft.

 

Woher kommt es, dass unser Kopf einen so grossen Einfluss auf den Therapieerfolg hat? Gemäss Dr. med. Ingmar Schenk von der Rehaklinik Bellikon hat in der letzten Zeit ein Umdenken in Hinsicht auf unsere Hirnfunktionen stattgefunden. Das Gehirn ist rund um die Uhr dabei, sich ein Bild von unserer Welt zu machen. Es entscheidet bewusst und nicht-bewusst, welche Informationen als wichtig eingestuft werden. Dies passiert im Thalamus, dem Tor zum Bewusstsein. Doch vieles kann das Hirn nur einordnen oder verstehen, wenn es bereits auf Informationen aus der Vergangenheit zugreifen kann. Dabei wird ein Mechanismus verwendet, der Aktuelles mit Erfahrungen verknüpft und dann Erwartungen resp. Vorhersagen kreiert. Wenn mir gestern an der Tür einen Blumenstrauss zugestellt wurde, dann löst bei mir ein Klingeln auch heute noch ein positives Gefühl aus. Wenn ich jedoch gestern an der Türe von einem Verkäufer bedrängt wurde, löst das erneute Klingeln negative Assoziationen aus. Soweit eigentlich schon bekannt. Was nun zusätzlich passiert, sind psychische Vorhersagen, was nach dem Klingeln passieren wird, wie ich mich fühlen werde, wie ich reagieren werde, wie mein Körper reagieren wird. Bei Krankheitssymptomen läuft das selbe ab. Ich habe grad ein komisches Gefühl im Bauch (vielleicht liegt lediglich das Mittagessen etwas schwer im Bauch) und das Hirn prognostiziert bereits Schmerzen, Durchfall, Entkräftung und so weiter.  Die gute Nachricht ist, wir sind unseren Gefühlen nicht hilflos ausgeliefert. Dazu gibt es übrigens einen ausgezeichneten TED Talk von Lisa Feldman Barrett "You aren't at the mercy of your emotions, your brain creates them." mit deutschen Untertiteln, den ich am Ende des Artikels einfüge.

 

Entscheidend gemäss Dr. Schenk ist, ob ein Patient mit einer Diagnose "gesund" umgeht. Als "ungesund" gelten zum Beispiel die unangemessene Beschäftigung mit der Erkrankung oder der andauernde und exzessive Fokus auf die Symptome. Eine negative Selbstprognose verschlechtert seiner Erfahrung nach die Heilung und somit die Rückkehr in den Beruf markant. Um therapeutischen Erfolg bei der Behandlung des körperlichen Leidens zu haben, ist hier eine frühestmögliche psychologische Therapie entscheidend.

 

Zum selben Schluss kommt ein zweiter Experte, Dr. phil. Niklas Baer, Geschäftsleiter von Work Med, dem Kompetenzzentrum für Psychiatrie Baselland. Er hat in diversen Studien die Folgen von psychischen und physischen Erkrankungen ausgewertet. Gemäss seinen Aussagen unterscheiden sich diese für die Betroffenen in vielerlei Hinsicht kaum. Vom Empfinden der eigenen Gesundheit, der Wahrnehmung des sozialen Umfeldes, über Einschätzung der eigenen Vitalität und Stabilität bis zu den Leiden im Alltag. Somatisch (körperlich) Erkrankte empfinden ähnlich und schätzen sich ähnlich ein wie psychisch Erkrankte. Markante Unterschiede bestehen bei Arbeitsverhalten/ Zuverlässigkeit und beim Sozialverhalten. Und da liegt der Hund begraben. Psychisch Kranke geraten oft in eine Abwärtsspirale, die sich über Jahre hinzieht und meist immer schlimmer wird: Schule/ Ausbildung wiederholt, Mobbing, leistungsmässige Überforderung, Abbruch von Lehren/ Ausbildungen oder Kündigungen von Arbeitsstellen und so weiter. Auch hier: welche Perspektive gibt sich der Patient selbst? Bemüht er sich noch?

 

Letzteres ist entscheidend. Gemäss Umfragen bei Arbeitgebern konnten psychisch Erkrankte im Unternehmen gehalten werden, wenn sich der Mitarbeiter bemüht hat und wenn das Team nicht hintenrum schlecht über den Mitarbeiter gesprochen hat. Dazu ist eine Enttabuisierung von psychischen Erkrankungen notwendig. Denn wie es eine Betroffene selbst gesagt hat: «Wir kann ich meine (psychische) Krankheit akzeptieren, wenn die Umwelt sie nicht akzeptiert?» Um diese Herausforderung als Unternehmen zu schaffen, bedarf es einer reifen Betriebskultur. Gemäss Definition von Niklas Baer ist dies «Eine Betriebskultur, die Defizite und Krankheiten akzeptiert, Unterstützung anbietet und gleichzeitig einfordert, dass die betreffenden Mitarbeitenden 'das Beste geben'».

 

Die Quoten sind klar: lediglich 25% der Wiedereingliederungsversuche bei psychisch Erkrankten sind bei der IV erfolgreich, während es bei körperlichen Erkrankungen 45% sind. Denn auch hier wäre entscheidend, dass die Therapie früh beginnt, bevor der Strudel den Betroffenen zu stark in die Tiefe zieht.

 

PS. Sie fragen sich, was das Ganze  mit BODYALARM zu tun hat? Wir können ein Element sein, das Ihrem Unternehmen zu einer reifen Betriebskultur verhilft. Sich regelmässig mit der Gesundheit zu befassen, auf eine gesunde Haltung vor dem Bildschirm zu achten und die eine oder andere Mobilisierungsübung in den Alltag einzubauen, dringt mit der Zeit in die Unternehmenskultur ein und steigert die Wertschätzung gegenüber dem Mitarbeiter markant.

 

Autor: Michael Meier

 

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Kommentare: 2
  • #1

    f. schmidli (Donnerstag, 03 Oktober 2019 11:18)

    «Gut geschrieben. Ich kann dem allem zustimmen. Nur, dass ein psychisch kranker Mensch eben aus Krankheitsgründen genau dies oft nicht mehr kann: Hoffnung auf Besserung haben und den Antrieb um weiterzumachen. Das stelle ich mir als mental gesunder Mensch mit einer somatischen Erkrankung leichter vor.»

  • #2

    Denise Hürlimann, Fachpsychologin für Psychotherapie FSP (Freitag, 04 Oktober 2019 11:18)

    Liebes Bodyalarm-Team, lieber Michael
    Vielen Dank für den guten und interessanten Artikel. Als Psychotherapeutin sehe ich den Zusammenhang zwischen Stress und Schlafstörungen und der Schmerzwahrnehmung sehr oft und das ist ein wichtiges Thema in der kognitiven Verhaltenstherapie. Auch ich finde es wichtig, die Zugangshürden zur Psychotherapie und damit zu einer frühestmöglichen psychologischen Therapie zu senken. Gratulation zur ausgezeichnet geschriebenen Zusammenfassung der Tagung!